Berufsverbot an der Geschwister-Scholl-Schule?

Alles fing, so gut an: Schulleiter Dr. Wand freute sich, eine frisch ausgebildete Lehrkraft mit den Mangelfächern Englisch und Deutsch an Land gezogen zu haben. Klassen und Kurse freuten sich über die gerade 27-Jährige, die frischen Wind ins Klassenzimmer brachte. Und Eva Petermann (damals Kort-Petermann) freute sich über ihre Planstelle an einer modernen Gesamtschule.

Doch dann, an ihrem zweiten Tag in der Schule, der Schock: Das HKM wollte der Junglehrerin auf einmal nur noch einen Übergangsvertrag geben und drohte, sie schnellstmöglich vor die Tür zu setzen. Begründung: Als Studentin war Eva Petermann ins Heidelberger Studentenparlament und in den Kleinen Senat gewählt worden und hatte auch sonst bei Wahlen kandidiert. Außerdem wurden ihr Artikel zur Lehrstellenknappheit und zur finanziellen Notlage von Studenten zur Last gelegt sowie Reisen in die DDR.

Eva Petermann

 

War das denn verboten? Natürlich nicht. Aber der Verfassungsschutz hatte all das feinsäuberlich gesammelt und den Schulbehörden überreicht, weil diese junge Frau Mitglied im Marxistischen Studentenbund Spartakus und in der Kommunistischen Partei (DKP) war. Da diese „verfassungsfeindliche Ziele“ verfolgten, fehle der Lehrerin die Eignung für den Öffentlichen Dienst. Sprach der hessische Kultusminister (SPD) im Februar 1978.

Dass es sich um legale Organisationen handelte, interessierte ihn nicht. Auch nicht, was sie in ihrer „Anhörung“ im RP Darmstadt erklärte: Dass sie sich ihrer Meinung nach sogar besonders „aktiv für die demokratischen Prinzipien des Grundgesetzes engagiere…“, lediglich ihre demokratischen Grundrechte wahrgenommen habe und dass „eher wohl solche Gesinnungsüberprüfungen als verfassungswidrig“ anzusehen seien.

Es sah schlecht aus. Immerhin ließ man sie erst einmal weiter unterrichten. Nicht zuletzt, weil die Schule sie dringend brauchte. Insgesamt acht Jahre würde es dauern, bis sie schließlich doch in aller Form ihr Recht bekommen würde.

 
Geschwister-Scholl-Schule 1980

Nicht alle der damals mehr als 11.000 Berufsverbots-Betroffenen hatten so viel Glück. Sechs Jahre vorher – heute vor 40 Jahren – hatte in Hamburg die Ministerpräsidentenkonferenz zusammen mit Willy Brandt (SPD) den sog. „Radikalenerlass“ verkündet.

Vor allem in den 1980er Jahren wurden daraufhin 3,5 Millionen Bewerber für den Öffentlichen Dienst – Briefträger, Lokführer, Juristen und insbesondere Lehrkräfte – vom Verfassungsschutz durchleuchtet. Unter Verdacht gerieten Linke jedweder Couleur, vor allem DKP-Mitglieder, aber auch SPDler und Kriegsdienstverweigerer etc. Die gesamte Außerparlamentarische Opposition sollte eingeschüchtert werden. Statt Zivilcourage war Duckmäusertum gefragt.

Mehr als 20 Jahre später, 1995, verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik wegen dieser bundesdeutschen Version des McCarthyismus, die der EGM als schwerwiegenden Verstoß gegen die Grundrechte wertete.

Ganz so lange musste die linke Lehrerin an der Scholl-Schule zum Glück nicht warten. Nicht nur ihre GEW-Kolleginnen und -Kollegen, die Personalversammlung und die Schulleitung, sondern auch ehemalige Mitreferendarinnen in Darmstadt und Schüler am AKG (wo Eva Petermann als Referendarin unterrichtet hatte) wie auch die Schülervertretungen waren empört und solidarisierten sich. Insbesondere ihr GEW-Kollege, der Schul- und Landesvertrauenslehrer Godwin Kunkel, scheute dabei weder Zeit noch Mühe, zusammen mit vielen anderen in Hessen wie auf Bundesebene.

Godwin Kunkel

Die Schülereltern, allen voran ihre Elternbeirätin Liesel Dengler, schalteten sich ebenfalls nachdrücklich ein. Sie fanden diese Lehrerin sogar ausgesprochen gut „geeignet“ und motivierend für die Kinder. Mehr als 30 Bensheimer trafen sich regelmäßig im Komitee „Demokraten gegen Berufsverbote“. Sie begleiteten die Betroffene zu „Anhörungen“ und zu der (letztlich erfolgreichen) Gerichtsverhandlung in Darmstadt und stärkten ihr den Rücken mit Presseveröffentlichungen, Veranstaltungen und Demos.

Selbst die Gemeindevertretung in der französischen Partnerstadt Beaune protestierte gegen die Gesinnungsschnüffelei. Das machte Mut.

Dennoch war es für alle Beteiligten keine einfache Situation. Anonyme Drohbriefe flatterten der Schulleitung ins Haus, die ohnehin im eher konservativ geprägten Bensheim als Gesamtschule keinen leichten Stand hatte. Und das tägliche Spießrutenlaufen in der Öffentlichkeit kostete auch die Berufsanfängerin, bei der sich daheim die Deutsch- und Englischarbeiten auf dem Schreibtisch stapelten, durchaus einiges an Zeit und Nerven.

Nach zwei Jahren der Auseinandersetzung mit den Behörden der erste, spürbare Erfolg: Eva Petermann, die mittlerweile zur Personalrätin gewählt worden war, erstritt vor Gericht einen unbefristeten Angestelltenvertrag. 1986 wurde sie schließlich offiziell zur Studienrätin ernannt, nachdem sich die neue SPD-Grüne Landesregierung ausdrücklich von der Berufsverbotepraxis distanziert hatte. Das war lange, nachdem der Friedensnobelpreisträger Brandt bereits öffentlich seinen „Irrtum“ bekannt hatte ….

Eva Petermann

 

Ende gut, alles gut?

Die 20-seitige Dokumentation, die die Kreisschülervertretung im August 1979 gemeinsam mit dem Bensheimer Berufsverbote-Komitee herausbrachte, schlummert inzwischen friedlich im Landesarchiv.

Aber ob auch alles, was der damalige Kreisschulsprecher Jochen Lossack (heute: Ruoff) in seinem Vorwort darin warnend schrieb, heute bereits Vergangenheit ist?

„..eine Atmosphäre politischer Abstinenz soll sich ausbreiten….auch Schüler werden bespitzelt…Wenn wir uns für diese Lehrerin einsetzen, geht es also auch um uns: Es geht um die Bedingungen, unter denen wir in Zukunft leben werden.

Für unsere grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte müssen wir uns auch als Schüler, heute, einsetzen – in der Solidarität mit allen progressiven Kräften unseres Landes.“

 

Eva Petermann


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