Vom Anstaltsseminar zu BRB

Lehrerausbildung an der Geschwister-Scholl-Schule

Zwei alte Aktenordner mit recht vergilbtem Inhalt geben Auskunft: Genauso alt wie die Geschwister-Scholl-Schule selbst ist auch die Lehrerausbildung dort. Die Leitung des sogenannten „Anstaltsseminars“ im Gymnasium oblag 1972 Herrn Studiendirektor Wolfgang Singer, der für die allgemeinpädagogischen Inhalte zuständig war. Die Ausbildung in den Unterrichtsfächern erfolgte zunächst vom Studienseminar für Gymnasien in Darmstadt.

Die Unterlagen berichten von wöchentlichen Anstaltsseminarveranstaltungen in der Geschwister-Scholl-Schule mit der Behandlung aktueller pädagogischer Themen, vor allem aber mit zahlreichen Gruppenhospitationen. Gewissenhaft führten die Referendarinnen und Referendare jeweils  Protokoll, auch als aus dem „Anstaltsseminar“ längst das E/G-Seminar geworden war (für erziehungs-und gesellschaftswissenschaftliches Seminar - ein erster Hang zu Abkürzungen lässt sich in den achtziger Jahren bereits feststellen). Am 2.12.1980 fiel das Protokoll knapp aus, worüber die zuständige Referendarin nicht böse gewesen sein dürfte: Eine vorgesehenen Gruppenhospitation in der Klasse 11cG im Fach Kunst „konnte jedoch nicht in der gewohnten Form ablaufen. Da die Schüler auf Grund eines Streikes Fehlten, stellte uns Frau S[…] ihre Stundenplanung vor. […] Für uns war es zwar eine interessante, sehr informative Stunde; ohne Schüler konnte sie allerdings ihren Zweck als Gruppenhospitation nicht erfüllen.“ (Orthographie nach dem Zitat aus dem Originalprotokoll)

Ab 1980 bekam Bensheim ein eigenes Studienseminar für Gymnasien, das in den ersten Monaten seines Bestehens bemerkenswerterweise  in den Räumen der GSS untergebracht war. In den Unterlagen findet sich die Bezeichnung O 277, das war ein  großer Eckraum, in dem sich heutzutage die Schulküche befindet. Wo heute kulinarische Köstlichkeiten zubereitet werden, wurde ehedem an ganz anderen Menüs gebastelt. Unterricht hat durchaus etwas von einer Speisenfolge: Das Entree ist der Einstieg, mit dem der Appetit angeregt werden soll, im Hauptgang wird der Stoff erarbeitet und vertieft, als Dessert werden das kritische Urteil oder auch die Reflexion gereicht  oder ganz einfach nur die Hausaufgabe.

Die Leitung des Bensheimer Studienseminars hatten die Herren Knoche, Ochsendorf und Ullrich inne. Gegenwärtig steht Herr Oberstudiendirektor Dr. Johannes Bähr dem mittlerweile in die Kreisstadt umgezogenen Studienseminar vor. Vom Heppenheimer Haus der Pädagogik aus schickt er die „Auszubildenden“, die nunmehr „Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst“ heißen – kurz: LiV -, in die Gymnasien an der Bergstraße, aber auch in den schönen Odenwald und in die Ebenen des südhessischen Rieds.

Das „Anstaltsseminar“ bzw. das E/G-Seminar wurde nach Herrn Singer bis 2007 von Herrn Studiendirektor Gerhard Vetter geleitet. Die  gebräuchlich gewordene Bezeichnung „Schulseminar“ hat bis heute Bestand, auch wenn Frau Oberstudienrätin Heike Diehl, Herrn Vetters Nachfolgerin,  nach der Modularisierung der Lehrerausbildung im Jahre 2005 nicht „Schulseminarleiterin“ heißen soll. Die Modularisierung hat auch eine Art  Abkürzungswahn mit sich gebracht, und so ist Frau Diehl für die LiV an der GSS beratende Ausbilderin, von 2007 bis 2011 als BBP-Beauftragte (nein, nicht das, was alle meinen, sondern: „Beratung, Betreuung, Portfolio“), gegenwärtig zuständig für „Beratung, Reflexion der Berufsrolle“. Charmante und erfindungsreiche Kollegen pflegen bisweilen nach „Frau BRB“ zu rufen, was immerhin lautmalerisch interessant ist (brrrrrbbbbbb!) und  darüber hinwegtröstet, dass es die herrlich altmodische Bezeichnung „Anstaltsseminar“ nicht mehr gibt. 

In zahlreichen Modulen werden die Referendarinnen und Referendare in ihren Fächern und weiteren Belangen mit klangvollen Abkürzungen ausgebildet. Da gab es über 24 Monate hinweg etwa  Veranstaltungen wie DFB und MuM (wieder nicht, was alle denken, sondern „Diagnostizieren, Fördern, Beurteilen“ und „Methoden und Medien“). Seit November 2011 dauert die Ausbildung nur noch 21 Monate, MuM gibt es nicht mehr, was schade ist, konnte die Bezeichnung trotz der fehlenden Verbindung zu dem bekannten Perlgetränk immerhin zum Schmunzeln verleiten. Die Sache mit den Methoden und Medien wird jetzt in „LLG“ vermittelt, man möchte nicht weiter darüber nachdenken.  Die Halbwertszeit von Abkürzungen ist kaum der Rede wert, die ständig neu erdachten Buchstabenkombinationen seien mit gesunder Skepsis zu betrachten.

Bedeutend allerdings ist nach PISA der Paradigmenwechsel hinsichtlich dessen, was Schüler lernen sollen: kein träges Wissen mehr soll ihnen vermittelt oder gar eingetrichtert werden, sondern Kompetenzen, die es ihnen ermöglichen, aus dem Gelernten auch Handlungsoptionen zu gewinnen. Die Referendarinnen und Referendare  sind die Ersten, die dies lernen sollen, ganze Lehrerkollegien erschrecken allerdings ob des Aufwandes, den sie auf sich zukommen sehen. Schülerorientierung und die Herausbildung von Handlungsfähigkeit sind allerdings keine neuen Erfindungen. 1995 erarbeitete Gerhard Vetter mit den Referendarinnen und Referendaren im Schulseminar bereits ganz selbstverständlich eine diesbezügliche Werteordnung.

Unsere LiVs 2012: v.l.n.r.: Sarah Dohmen (Mathe/Sport); Olga Kandzorra (Deutsch/Kunst); Anna Schwöbel (Deutsch/PoWi); Stefan Radsick (Biologie/Sport); Franziska Rudolph (Mathe/Biologie); Martin Holtorp (Mathe/Physik), Heike Krause (Ethik/PoWi); Gudrun Behrmann (Biologie/Ethik)

 

Zahlenmäßig gab es in den letzten Jahren durchschnittlich sieben LiV  im gymnasialen Zweig, dazu mindestens ebenso viele im Haupt- und Realschulzweig. Letztere zählen allerdings leider nicht zum Schulseminar, sondern werden dort von engagierten Mentorinnen und Mentoren begleitet. Diese Kolleginnen und Kollegen sind selbstverständlich auch im gymnasialen Zweig anzutreffen, alle zusammen finden es immer wieder spannend, ihr Können an die nächste Lehrergeneration weiterzugeben und sie tun es, auch wenn die Belastungen zunehmen und die hessische Landesregierung eine Hoffnung nicht erfüllt hat:  den zusätzlichen Arbeitsaufwand der Mentorinnen und Mentoren durch Stundenentlastung zu honorieren.

Die Ausbildung an der GSS ist wie überall anstrengend, aber auch lohnend: Es gibt viel zu lernen in einer großen Schule mit multikultureller Schülerschaft, innovativer Schulleitung, die stets bereit ist, die LiV zu unterstützen, mit einem lebendigen und erfreulicherweise immer jünger werdenden Kollegium, das zu vielem zu gebrauchen ist, ganz besonders aber für die Ausbildung des Lehrernachwuchses.

Und die LiV? Kommen im Mai und im November, bleiben 21 Monate und gehen manchmal wieder. Wenn sie bleiben, ist es ein Gewinn für die Schule. Sie bringen neue Ideen für den Unterricht,  moderne Sichtweisen, flotte Sprüche und überhaupt viel frischen Wind (manch allzu steife Brise mit gelegentlichen Orkanböen konnte die Schule bislang ganz gut verkraften). Wir sind froh, dass wir sie haben - in diesem Sinne: auf viele neue Referendarinnen und Referendare, wie immer man sie auch abkürzen mag!

Heike Diehl, Schulseminarleiterin, im April 2012

 


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