Die Sprachintensivklasse der Geschwister-Scholl-Schule

Auf meinem Weg in die Schulmensa sehe ich Belay eilig die Schule verlassen. Sie läuft zielstrebig zur Taunusanlage, wo der Schulbus sie nach Hause bringt. Freunde werden, wie üblich, zum Abschied gegrüßt, doch Belay ist in Gedanken ganz bei sich: Ungefähr zu dieser Zeit, vor zwei Jahren, endete ihre Flucht aus Eritrea in Bensheim. Sie erinnert sich an ihren ersten Schultag an der Geschwister-Scholl-Schule im März 2010. Sie erinnert sich an die Strapazen der Flucht, die sie als 13 jähriges Mädchen kaum ertragen konnte; sie erinnert sich an die Angst, die sie in den ersten Monaten in einer  für sie fremden Gesellschaft täglich begleitete.

Während Belay, die in Kürze ihren Hauptschulabschluss macht, bereits im Bus sitzt, nimmt Stefan aus Portugal gerade einen Nachschlag in der Mensaküche. Stefan ist vor kurzem 17 Jahre alt geworden und büffelt an der Geschwister-Scholl-Schule für sein Abitur. Seine Noten sind gut und man merkt ihm an, dass er gerne zur Schule geht. Ich habe mich mit ihm verabredet und möchte ihn fragen, wie er die letzten zwei Jahre an unserer Schule erlebt hat - eines nämlich hat er mit Belay gemeinsam: Beide sind seit gut zwei Jahren in Deutschland und beide sprachen kein Wort Deutsch.

„Pah, sie wissen doch – meine Eltern mussten damals wegen ihrer Arbeit nach Deutschland. Das fiel mir schwer – aber ich habe in der Sprachklasse schnell Freunde gefunden – sie wissen doch, Amanpreet war mein Pate in der Regelklasse!“

  

‚Pah’ denke ich und erinnere mich: Amanpreet war damals als Pate für Stefan zugeteilt. Er sollte ihm helfen, sich in der Riesenschule zurechtzufinden und jetzt sitzt er hier zwei Jahre später neben ihm und beide Freunde hauen sich ihren Auflauf rein.

Belay betritt wohl schon bald ihr jetziges ‚zu Hause’. Hier trifft sie ab und zu die 16 jährige Roya. Roya stammt aus Afghanistan und ist glücklich in Deutschland wieder mit ihrer Familie vereint zu sein. Auf ihrer einjährigen Flucht war sie auf sich selbst gestellt – warum sie alleine fliehen musste, erzählt sie nicht. Roya fehlt oft in der Schule, wo sich die beiden getroffen haben.  Sie hat in der Sprachklasse Lesen und Schreiben gelernt, aber ich weiß, dass sie Probleme hat, die im Rahmen des Unterrichts nicht bewältigt werden können. Ich weiß auch, dass Roya im Leben kaum eine Schule besucht hat und deshalb sehr spezielle Voraussetzungen und Bedürfnisse mit in den Unterricht bringt und ich weiß, dass Roya eigentlich viel mehr Hilfe und Unterstützung bräuchte, als wir ihr hier in unserer Sprachklasse geben können.

Roya, Stefan und Belay sind drei Jugendliche, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Dennoch haben sie mit 12 weiteren Jugendlichen im Alter von 11 bis 18 Jahren mehrere Stunden am Tag gemeinsam in unserer Sprachklasse Deutsch gelernt. Parallel schickte ich sie für einige Zeit in eine Regelklasse, um Kontakt zu deutschen Schülerinnen und Schülern zu haben. Umso mehr sie die deutsche Sprache beherrschten, umso mehr Stunden besuchten sie dann in der Regelklasse und wurden somit peu à peu in unser Schulsystem integriert.

Dass es in den letzten fünf Jahren viele, unserer bisher nahezu 100 Sprachschüler, auf den ersten Blick gut hingekriegt haben, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass ihr Weg unglaublich viel Fleiß und Mut erfordert und für manche Jugendliche auch ins Leere läuft. Es ist schade, nicht über jeden einzelnen und seine Integrationsversuche und seine Kraft bei der Bewältigung der Migrationserlebnisse berichten zu können – und dennoch geben Roya, Stefan und Belay einen kleinen Einblick in eine migrationsbedingte Vielfalt, die an der Geschwister-Scholl-Schule durch die Sprachklasse zur Normalität geworden ist. 

Alexander Siede

 


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