Ein Interview zur Lese- und Rechtschreib-Förderung

Unsere langjährige LRS Fachkraft Eva Petermann(E.P.) im Gespräch mit dem Pädagogischen Leiter Dietrich Hinkeldey(D.H.)

 

             

 

D.H.: Du warst mehr als 30 Jahre in der LRS-Förderung aktiv. Mal ehrlich: Hängt dir das Thema nicht doch allmählich zum Hals raus?

E.P. : Ja, ein bisschen schon. Eher aber war es so, dass die Kollegen auf der Konferenz manchmal gestöhnt haben: Schon wieder LRS! Außerdem ist wirklich viel Zusatzarbeit und bürokratischer Aufwand damit verbunden, manchmal auch Ärger mit Eltern, Kollegen…Im Unterschied jedoch zu vielen anderen Schulen, insbesondere der traditionellen Gymnasien, haben wir bei uns immer Rückhalt in der Schulleitung und im Kollegium gehabt.

D.H.: „Wir“?

E.P.: Ja, spätestens ab Ende der 90er hatten wir ein richtig gut eingespieltes Team aus allen drei Schulformen: Elke Kindinger, Arndt Rettig und ich. Bevor ich 1978 an die Schule kam, waren meine beiden Kollegen vor allem in Realschulzweig bereits in die LRS-Förderung eingestiegen. Noch bevor überhaupt dann 1976 in Hessen der erste „Legasthenie“-Erlass herauskam. An der Bergstraße waren wir vermutlich die ersten Gymnasialen, die sich um das Thema gekümmert haben.

D.H.: So erstaunlich ist das auch nun wieder nicht, finde ich. Schließlich hatte kaum jemand eine Ahnung davon; in der Referendarsausbildung kam LRS schon gar nicht vor.

E.P.: Genau, so ging es mir selber ja auch. Mir als „Neuer“ trug Dr. Wand umgehend an, mich um die LRS-Förderung im Gymnasialbereich zu kümmern, zusammen mit deinem Vorgänger… .

D.H.: …Herrn Baumbusch. Warst du denn gleich einverstanden?

E.P.: Im Prinzip schon. Allerdings muss ich sagen – erst einmal ein halbes Jahr Fortbildung mit dem Schulamtspsychologen, Herrn Wagner, der übrigens später an unsere Schule wechselte, dann weitere Fortbildungen am Lehrerfortbildungsinstitut in Kassel…

D.H.:….das ist für eine Berufsanfängerin nicht gerade wenig.

E.P.: Sehr wahr. Das Konzept aber leuchtete mir absolut ein, zumal diese Kinder damals wie heute ohne Hilfe wirklich reichlich verloren waren.

D.H.: Übertreibst du da nicht ein ganz klein bisschen?

E.P.: Durchaus nicht. Inzwischen gehört es natürlich fast schon zum Allgemeinwissen, dass diese Lernschwierigkeit nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun hat. Aber damals war das Neuland in Hessen. Gerade die Kinder mit LRS haben oft sehr ausgeprägte Stärken oder gar außergewöhnliche Talente. Wenn Pädagogen und Eltern dies nicht erkennen, können die Kinder in einen Teufelskreis geraten. Sie spielen den Klassenclown und..…

D.H.: Kurz gesagt, diese jungen Leute machen sich dann nicht immer beliebt in der Schule.

E.P.: Damals war es unsere Schule, die auch nicht nur beliebter wurde wegen der LRS-Förderung. Die betroffenen Eltern waren sicher heilfroh. Doch in der Öffentlichkeit mag dieses „Förder“-Profil gerade des Gymnasialzweigs auch ein Grund gewesen sein, auf die Schule herabzublicken.

D.H.: Die Konkurrenz zwischen den Schulen war immer schon sehr groß.

E.P.: Da hatte eine Gesamtschule in einer eher konservativen Kleinstadt von vornherein die schlechteren Karten. Wie man heute sieht, sprach es sich dennoch immer mehr herum, dass bei uns eine sehr gute Arbeit gemacht wird und die meisten wirklich das eine oder andere lernen.

D.H.: Zumal bekanntlich hohe Lernleistungen und Unterstützungsangebote sich keineswegs ausschließen.

E.P.: Schöner hätte selbst ich es nicht sagen können! Jedenfalls glaube ich, wir können beide viele Beispiele nennen von Mädchen und Jungen, die in den diversen Förderkursen waren – die gibt es ja nicht nur für LRS – und später eine glänzende berufliche Laufbahn einschlugen.

D.H.: Ja, da fallen mir gleich eine Menge Namen ein.

E.P.: Dabei war aber auch die Unterstützung durch die Eltern ganz entscheidend – soweit diese zeitlich etc. dazu in der Lage gewesen sind. Nicht zuletzt waren sie dazu bereit, finanziell mitzuhelfen. So konnten wir das Übungsmaterial für die Kurse in den 5. Klassen kostenlos ausgeben – vielen Dank an Frau Schuhmann und Frau Fahrner und an Herrn Jochum. Überhaupt gab es eine gute Zusammenarbeit zwischen ihnen und dem LRS-Team.

D.H.: Ihr wart ja nicht nur Kursleiter, nicht wahr?

E.P.: Stimmt. Wir waren die zuständigen Ansprechpersonen. Und wir haben uns über die Jahre hinweg einiges einfallen lassen, damit die LRS-Arbeit klare Strukturen und Hilfestellungen erhält. So haben wir ein LRS-Konzept für die ganze Schule entwickelt. Daran haben sich außer uns mindestens ein halbes Dutzend Kolleginnen und Kollegen beteiligt und darüber hinaus noch die Fachkonferenzen.

D.H.: Aber so ein Konzept mussten doch alle Schulen erarbeiten, oder?

E.P.: Stimmt, seit der Verordnung von 2006 war das verbindlich. Unser Konzept allerdings hatten wir zu dem Zeitpunkt schon zweimal aktualisiert. Und außerdem: Bevor die neue hessische Verordnung dann alle Schulen auf LRS-Förderung verpflichtete, egal, in welcher Schulform, gehörte sie bei uns längst zum pädagogischen Alltag.

D.H.: Donnerwetter, richtige Pioniere wart ihr!

E.P.: Kein Eigenlob bitte.

D.H.: Wieso „Eigenlob“?

E.P.: Na, Kollege Hinkeldey, du hast doch als Pädagogischer Leiter auch ein bisschen dabei mitgemischt, oder etwa nicht? Aber Schluss mit den Komplimenten – ich will nicht so tun, als wäre bei uns alles reibungslos und ohne Auseinandersetzungen abgelaufen. Mal wurden Kurse auf unmögliche Tageszeiten gelegt, mal waren sie zu groß, mal waren nicht genügend qualifizierte Lehrkräfte da…

D.H.: …außerdem wurden damals wie heute keinerlei Extra-Stellen für diese Förderung zugewiesen.

E.P.: Ganz recht! Also, da gibt es – und nicht nur da – noch eine Menge zu tun für uns alle.

 


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